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Siegfried der Drachentöter und der Goldschatz vom Eresberg


Text: Eduard Emmerich
Zeichnung: Heiner Imöhl



Vor langer, langer Zeit, als noch Riesen und Drachen ihr Unwesen in unserem Land trieben, Zwerge und Trolle die Höhlen der Berge bewohnten und liebliche Elfen sich in unseren Wäldern tummelten, lebte auf einer Burg bei Xanten am Niederrhein ein König mit Namen Siegmund mit seiner Frau Sieglinde. Sie hatten einen Sohn, den sie Siegfried nannten. Siegfried war von stattlicher Gestalt mit strahlend blauen Augen und langen Haaren, die so blond waren, wie die Strahlen der Sonne. Er liebte es, durch die Wälder des Königreichs zu streifen, er liebte die großen, stattlichen Bäume und die wilden Tiere. Angst hatte er keine, denn er war so stark, dass sich ihm kein Tier, kein Riese und kein Drache in den Weg stellte. Siegfried war immer auf der Suche nach neuen Abenteuern und bald kannte er im weiten Umkreis jeden Wald, jede noch so tiefe Höhle, jeden Berg und jeden Fluss. Mit der Zeit wurde ihm aber langweilig und er flehte seinen Vater an, ihn doch mitzunehmen, wenn er mit seinen Rittern in den Kampf zog, um das Königreich gegen Eindringlingen zu verteidigen. Der König kannte die Stärke seines Sohnes, wollte aber sein einziges Kind keiner Gefahr aussetzen. So musste Siegfried immer wieder bei seiner Mutter auf der Burg bleiben und konnte nur davon träumen, ein großer Held zu werden. 

Die Königsfamilie und die Menschen im gesamten Königreich lebten glücklich und zufrieden. Doch dann kam ein strenger und langer Winter. Es war bitter kalt und der Schnee lag meterhoch. Die Menschen kamen nur sehr schwer in den Wald, um Holz zum Heizen zu holen. Es gab nur noch wenig zu essen und Krankheiten breiteten sich aus. Nur mit großen Mühen konnten sich die Menschen über den Winter bringen. Dann kamen die ersten Frühlingsboten unter dem Schnee hervor. Schneeglöckchen und Krokusse  blühten in den schönsten Farben. Die Freude war sehr groß, als nach Ostern endlich die Sonne die Erde erwärmte. Doch dann geschah das nächste Unglück. Wochenlang fiel kein Tropfen Regen auf die Erde und die Sonne, die zuvor noch ein Segen für die Menschen war, trocknete nun den Boden aus. Es drohte eine große Hungersnot. „Wie sollen wir unser Volk in diesem Jahr nur versorgen“, sprach der verzweifelte König, „die Samen in der Erde gehen nicht auf, die Früchte an den Bäumen können nicht wachsen und für Nahrung aus anderen Königreichen reicht das Geld nicht.“

Eines Tages hörte Siegfried davon, dass in einem Land weit im Osten ein Drache lebte, der einen großen Schatz bewachte. „Vater,“ sagte Siegfried, „ich werde den Drachen besiegen und uns den Schatz holen. Dann können wir den Menschen Nahrung und Kleidung kaufen. Der König aber verbot ihm die gefährliche Mission. Siegfried war aber entschlossen, seinen Eltern und dem ganzen Volk zu helfen. Weder die strengen Worte des Vaters, noch die flehenden Bitten der Mutter konnten ihn von seinem Vorhaben abbringen. Und so schritt der Jüngling eines Morgens in der Frühe von der Burg hinab und zog frohen Mutes der aufgehenden Sonne entgegen. Am dritten Tag seiner Reise kam er in einen dichten und dunklen Wald. Trotz der Schreie wilder Tiere marschierte er ohne zu zögern in das Dunkel des Waldes hinein. Ein Stock half ihm durch Gestrüpp und Gebüsch.

Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, sah Siegfried in der Ferne eine Rauchsäule aufsteigen. Dem Rauch folgend, hörte er bald aus den Tiefen einer Felsschlucht ein leises "pling, pling", das immer lauter wurde, je näher er der Felsenschlucht kam.  SIegfried gelangte zu einer Werkstatt, in der der Schmied Mime lebte und arbeitete, der beste Schmied der Welt. Seine Gesellen schlugen immer wieder auf ein rotglühendes Eisen ein. Das gefiel dem Siegfried, ,Das Schmiedehandwerk möchte ich wohl auch erlernen', dachte er bei sich und betrat mit diesem Wunsch die Werkstatt. Zunächst wurde er als bartloser Jüngling belächelt, doch Siegfried ließ sich nicht einschüchtern. Er forderte einen Hammer und ein Stück Eisen, um seine Kräfte zu demonstrieren. Mit der einen Hand hielt er das glühende Eisen auf einem Ambos und mit der anderen Hand schlug mit solcher Kraft auf das Eisen ein, dass die Funken nur so durch die Werkstatt sprühten. Ein lautes "plang, plang" erzeugten die Schläge, dass bald das ganze Tal davon erfüllt wurde. Meister Mime wollte noch Einhalt gebieten, aber Siegfried hämmerte mit solcher Kraft weiter, dass das Eisen zerbrach und der Amboss darunter im Boden versank. 
Nach dieser Demonstration seiner Stärke, durfte Siegfried in der Schmiede bleiben und erlernte in kurzer Zeit das Schmiedehandwerk. 

So mancher Amboss versank noch im Boden, bis Siegfried seine Kraft gezielt einsetzen und dem Schmied eine große Hilfe sein konnte. Er lernte so schnell, dass er schon bald die besten Waffen schmieden konnte. Am Ende seiner Ausbildung, durfte Siegfried sich ein eigenes Schwert schmieden. Sein Lehrmeister Mime gab ihm dafür Eisenstücke von einem Zauberschwert, das der Göttervater Odin selbst einmal in einem Anfall von Wut zerbrochen hatte. Die Eisenstücke waren so hart, dass niemand sie bisher bearbeiten konnte. Für Siegfried bedeutete die Härte des Eisens jedoch kein Problem. Immer wieder erhitzte er das Eisen und bearbeitete es mit einem großen und wuchtigen Hammer, bis er ein neues Schwert aus dem glühenden Eisen formte. Am Ende seiner Arbeit hielt Siegfried das neue Zauberschwert in die Höhe. Es strahlte so hell, dass Mime seine Augen bedecken musste. Da Zauberschwerter immer einen Namen trugen,  gab Siegfried seinem Schwert den Namen "Balmung". 

Nun war Siegfried gut gerüstet, um sich dem Drachen zu stellen und an den Goldschatz zu gelangen. Er machte sich also erneut auf die Reise, über hohe Berge und durch tiefe Täler, durch Flussauen und dunkle Wälder, bis er zu einem Berg im Tal der Diemel kam, den die Bewohner Eresberg nannten. 

Auf diesem Berg, so sagten ihm die Leute, lebt in einer tiefen Höhle der Drache Fafnir. Viele starke Ritter hätten schon den Versuch unternommen, den Drachen zu töten, um an den Goldschatz zu gelangen. Alle mussten ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Doch Siegfried ließ sich nicht in Angst versetzen. Er musste erst ein fast undurchdringliches Dickicht überwinden. Die vielen Ranken versuchten ihn an den Füßen zu greifen und ihn am Weitergehen zu hindern. Siegfried konnte sich aber immer wieder mit seinem Zauberschwert Balmung befreien. Dann kletterte er den steilen Berghang hinauf. Von Weiten hörte er schon das unheilvolle Brüllen des Drachen und spürte bald dessen heißen Atem. Als er die Höhle erreichte, schoss der Drache auch schon auf ihn zu. Siegfried warf sich rasch zur Seite und hieb ihm sein Zauberschwert in den, als unverwundbar geltenden Leib. Blut strömte aus der tiefen Wunde. Der Drache schlug mit Kopf und Schwanz derart um sich, dass die wuchtigen Bäume im Umkreis zerbrachen. Dann sank er tot zu Boden.

Siegfried betrat die Drachenhöhle. Er ging immer tiefer in den Eresberg hinein. Finster war es in der Höhle, die Wände waren feucht und ein fauliger Geruch lag in der Luft, als sich der Weg in viele Wege verzweigte. Welchen Weg sollte er nun nehmen? Siegfried wusste, dass er nie wieder aus den Tiefen des Eresberges herausfinden würde, wenn er sich für den falschen Weg entschied. Er suchte nach einem Zeichen, dass ihm den rechten Weg zeigen sollte. Doch nichts dergleichen konnte er in der Dunkelheit entdecken. Verzweifelt setzte er sich auf einen Felsbrocken und dachte an seine Eltern und an die Menschen im Königreich. Wie sollte er die Hungersnot in seiner Heimat abwehren, wenn er sich in diesem Labyrinth verlaufen würde? Da erkannt sein Zauberschwert Balmung, dass Siegfried mit guten Absichten nach dem Schatz sucht und sich nicht aus Habgier daran bereichern will und begann zu leuchten. Immer heller leuchtet das Zauberschwert und füllte die Höhle mit strahlendem Licht. Dann bündelte sich der Lichtstrahl und viel auf einen der vielen Wege. Jetzt wusste Siegfried, wo er lang gehen musste. Er ging weiter in den Berg hinein und Balmung leuchtete ihm die richtigen Wege. Nach einiger Zeit sah Siegfried in der Weite der Höhle einen hellen Lichtschein. Als er näher kam, bot sich ihm ein außergewöhnliches Bild. Ein riesiger Berg aus reinem Gold tat sich vor seinen Augen auf. Siegfried war wie geblendet. Dann nahm er so viel Gold an sich, wie er tragen konnte. Den größten Teil des Schatzes aber ließ Siegfried in der Höhle zurück. Er rief Alberich, den König der Elfen und Zwerge und beauftragte ihn damit, den Schatz zu bewachen. Niemand durfte aus purer Habgier auch nur ein kleines Stückchen Gold bekommen. Er selbst würde auch nur wiederkommen, wenn er in Not geratenen Menschen helfen musste.

Siegfried verließ die Höhle und machte sich auf den Heimweg nach Xanten. Und wieder führte ihn sein Weg durch dunkle Wälder und sattgrüne Flussauen und wieder stellte ihm sich Niemand in den Weg, weder Mensch noch Tier. Nach vielen Tagen der Wanderschaft führte ihn sein Weg zurück zur Burg seiner Eltern. Der König ordnete ein dreitägiges Freudenfest an, das im ganzen Land gefeiert wurde. Mit dem Gold aus den Drakenhöhlen konnte eine Hungersnot im Königreich von Sigmund und Sieglinde verhindert werden. Und weil die Menschen seitdem keine Not mehr litten, liegt der Schatz bis heute in den Drakenhölen, tief im Eresberg verborgen. Viele Menschen haben sich seither daran gemacht, den Schatz zu finden. Doch die Höhle mit dem Goldschatz blieb bis heute unentdeckt.